Moin, moin, ich wünsche einen schönen Tag

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Der Mann bückte sich. Mit einem Strahlen im Gesicht und einem triumphieren Schwenken der brennenden Taschenlampe öffnete er die Tür.

Neugierig gingen die beiden weiter, in die Laube.

Kalle Jessen hörte ein Rumpeln, so, als ob jemand gegen ein Möbelstück gestoßen wäre. Aus der Hütte erklang ein erstauntes Kichern. Würden die beiden da jetzt...? Egal, er hatte Zeit. Und sein Geschäft würde nach diesem Verkauf ein paar weitere Monate Stabilität haben.

Langsam, mit einem Gefühl der Vorfreude, zog er die Zigarette aus der Packung heraus, klopfte sie auf der Schachtel, eine uralte Angewohnheit von ihm, noch aus der Zeit, als er selber gestopft hatte - und steckte sie sich zwischen die Zähne.

In diesem Augenblick ertönte aus der Hütte ein Keuchen, dann ein schriller Schrei.

„Die sind ja schnell!“, dachte er und zündete sich die Zigarette an.

Im gleichen Moment taumelte die Frau mit kreidebleichem Gesicht aus der Hütte. Hysterisch schrie sie irgend etwas, was Kalle nicht verstehen konnte. Plötzlich stolperte sie und stürzte mit einem grässlichen Aufschrei zu Boden. Fassungslos sah Kalle Jessen, wie sie mit dem Kopf auf den Holzboden krachte und sich aufstöhnend an den Bauch griff.

Schreiend kam der Mann aus der Hütte heraus gerannt, mit der Taschenlampe in der Hand. „Bella!“ Zitternd kauerte er sich neben seine Frau und strich ihr über das Gesicht.

„Hannes, mein Bauch. Oh, mein Bauch. Es tut so weh! Oh, ich hab Angst. Es wird doch nicht...“ Panisch wimmerte sie auf.

Kalle Jessen nahm die Zigarette aus dem Mund, warf sie auf den Boden und trat sie aus. Irgend etwas war schief gelaufen. Irgend etwas war sogar verdammt schief gelaufen!

Wimmernd hielt die Frau sich den Bauch und klammerte sich dabei gleichzeitig an seinen Händen fest. Verzweifelt sah der Mann zu dem Makler und schrie: „Ein Krankenwagen! Wir brauchen einen Krankenwagen. Meine Frau! Das Baby!“ Seine Stimme überschlug sich vor Panik. „Schnell! So machen Sie doch schnell!“

 „Ich habe mein Handy im Handschuhfach!“, rief Kalle und rannte zum Auto. Er rief den Krankenwagen und steckte sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Es war alles so gut angelaufen. Dieser Hausverkauf sollte ihm den Kopf aus der Schlinge retten! Kalle Jessen kehrte erst zurück zur Gartenlaube, als er die Sirene des Krankenwagens hörte. Der Wagen fuhr auf die Auffahrt hinter der Gartenlaube. Wie ein Unbeteiligter sah Kalle zu, wie die Frau auf eine Trage gehoben und in den Krankenwagen getragen wurde. Der Ehemann folgte ihnen, ohne noch ein Wort mit Kalle zu wechseln. Mit einem lauten Knall schlugen die Türen hinter ihm zu. Dann setzte das Heulen der Sirene wieder ein und der Krankenwagen verließ die Auffahrt. Hin und wieder tauchte das blaue Licht zwischen den dunklen Tannen auf, bis es sich unten im Tal über die Straße wand und schließlich seinem Blickfeld entschwand.

Die Taschenlampe lag auf der Veranda, ein einsames Licht auf düsterem Holz. Mit einem Seufzer hob Kalle Jessen die Taschenlampe auf und betrat die Laube. Neugierig ließ er ihren Schein durch den Raum tanzen.

Die Möbel waren alt und schwer, die Tapeten verblichen und an vielen Stellen mit Schimmel besetzt. Da konnten auch die irgendwann später aufgelegte karierte Tischdecke und der angestaubte Strauß Trockenblumen nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser Raum Teil einer Vergangenheit war, an die sich nur noch die Ältesten erinnern konnten.

Langsam wanderte der Lichtkegel durch den Raum, bis er schließlich auf dem großen Lehnstuhl vor dem Tisch hängen blieb. Der massige Stuhlrücken war ihm zugewandt. Etwas wurde von dem tanzenden Schein erfasst, was Kalle irritierte. Etwas, was bei seinem letzten Besuch in der Hütte nicht dort gewesen war. Im gleichen Augenblick bemerkte der Mann den eigenartigen Geruch, den er nicht genauer definieren konnte.

Verwundert trat Kalle näher an den Lehnstuhl heran.

Jemand hatte sich hier einen dummen Scherz erlaubt!

Eine riesige Puppe war in den Lehnstuhl gesetzt und die obere Hälfte mit Wachs übergossen worden. Wahrscheinlich Jugendliche, die hier irgend ein Ritual abgehalten hatten. Oder irgend eine Mutprobe? „Verdammte Bande!“, fluchte er laut. Was auch immer es gewesen war - Das Ganze hatte ihn das Geschäft seines Jahres gekostet! Verärgert trat Kalle Jessen gegen den Stuhl. Ein feines Zittern ging durch den Puppenkörper, ließ die Wachsschicht jedoch unbeschadet.

Plötzlich erfasste der Lichtkegel etwas Weißes. Ein kleines weißes Tier, das sich über die Hand der Puppe schlängelte. Ein kleines weißes Tier, das sich über ein anderes weißes Tier schob und dessen Mundwerkzeuge unhörbar an dem Körper in dem Stuhl saugten.

Erst in diesem Augenblick begriff Kalle, dass vor ihm in diesem Stuhl keine Puppe saß.

 

Sonntag, 23.45 Uhr, Winnert

„Meine neue Mitarbeiterin Bianca meint, dass das Feng Shui in meiner Praxis teilweise gestört wird durch die falsche Anordnung der Möbel.“ Ulla löste langsam ihren dunklen Zopf und ließ das lange Haar über ihre Schulter fallen.

Wie jedes Mal berührte Merle der Anblick der weiblichen Frau neben sich auf eine ganz besondere Weise. Sie waren beide äußerlich so verschieden. Ulla mit dem langen Haar und ihrer fraulichen Figur in den weichen Röcken und Kleidern und die rothaarige Merle mit ihrem kurzen Stoppelschnitt immer in Jeans und Flanellhemden oder T- Shirts. „Und, wirst du jetzt deine Möbel umstellen oder sie entlassen?“, fragte Merle und wippte dabei mit dem Fuß.

Unsicher zuckte Ulla mit den Schultern. „Sie ist eine gute Ergotherapeutin und die Kinder lieben sie. Ein Wechsel würde den Kindern nicht gut tun. Aber ihr Gerede... Gestern meinte sie, dass es für mein Karma schlecht ist, mit dir zusammen zu leben, weil mich dadurch unentwegt Wellen negativer Energie umfließen, weil du durch deinen Beruf ständig Kontakt mit Gewalt hast.“

Abrupt klappte Merle das Buch auf ihrem Schoss zu und tippte sich an die Stirn. „Die hat sie doch nicht alle, Ulla! Soll ich meinen Beruf aufgeben und Traumfänger basteln und Haschkekse backen? Echt, in was für einer Welt lebt die denn? Die Realität ist, dass da draußen Frauen und Kinder Opfer werden! Und da sind wir Frauen gefordert, denen beizustehen, die brauchen weibliche Beamte, bei den Vernehmungen und als parteiische Zeuginnen.“

„Ich weiß das doch, Merle!“

„Wegen Dummtrullas wie der werden wir Frauen in dieser Gesellschaft immer noch nicht ernst genommen und wie das mindere Geschlecht behandelt! Oh, das macht mich so wütend. Dieses ganze System kotzt mich immer wieder so an!“

„Hattest du mal wieder Stress mit Joachim?“

„Nein, heute war es was anderes, was mich total empört hat. Wusstest du, dass Margarete Böhme in Husum geboren ist?“ Merle klopfte auf das Buch in ihrem Schoss. „Seit meinem Abi habe ich dieses Buch schon und heute erfuhr ich durch Zufall, dass sie hier geboren ist. Ein kleines Schild weist auf ihr Geburtshaus hin. Im Gegensatz zu Storm, dem die Stadt ein Denkmal neben dem anderen gesetzt hatte. Man kann doch kaum einen Schritt gehen, ohne nicht irgendwo auf den Schriftsteller zu stoßen. Dabei hat die Böhme damals viel mehr Bücher verkauft als der Storm. Aber na klar...“

Das durchdringende Piepsen des Bereitschafts- Handys unterbrach sie.

Uwe Lessing meldete sich und berichtete von einem Leichenfund in einer Gartenlaube in Katharinenheerd. „Ich weiß noch gar nicht, was wir davon halten sollen.“

„Alles klar! Ich bin gleich unterwegs.“ Merle beendete das Gespräch und zog die Nase kraus. „Uah, mal wieder ganz, ganz böse Energie!“

„Hab’s mitbekommen.“

Murrend knurrte der Kater, als sie vom Sofa aufstand, sah sie ungnädig an und rollte sich dann wieder zusammen. Mit einem neidischen Blick auf ihn verabschiedete Merle sich von Ulla und eilte aus dem Wohnzimmer.

Wedelnd stand Gertrud, Ullas großer Mischlingshund, mit der Leine im Maul an der Tür. „Nein, Gertrud, es ist mitten in der Nacht, geh wieder schlafen! Ich muss arbeiten.“ Enttäuscht starrte die Hündin sie an und kehrte schnaufend zu ihrem Korb zurück, als Merle nach dem Autoschlüssel an der Garderobe griff. Die großen Bäume vor dem alten Friesenhaus ächzten leise im Wind, ansonsten war es wie fast immer um diese Zeit still am Rand des Dorfes.

 

Die nächtliche Eiderstedter Landschaft lag teilweise wie ausgestorben da. Silbrig warf der Mond sein Licht auf die abgeernteten Felder und auf die dunklen Schatten der letzten Maisfelder. In den meisten Häusern war es dunkel, nur vereinzelt brannte noch irgendwo Licht.

Wie verschlafen lag Katharinenheerd da und machte überhaupt nicht den Eindruck, als ob hier ein Mord geschehen sein könnte. Merle entdeckte die Bushaltestelle, die Uwe Lessing ihr beschrieben hatte und den schmalen Weg, der aufwärts führte. Mit einem klappernden Geräusch fuhr ihr Wagen hinauf, übertönt von der Anlage, aus der Rosenstolz dröhnte. Oben begegnete ihr der rote Flitzer des diensthabenden Arztes, der gerade die Auffahrt verließ. Die Leute von der Spurensicherung kamen zeitgleich mit ihr an.

Beim Aussteigen erschauerte Merle. Es hatte sich erheblich abgekühlt, dazu das typisch nordfriesische Herbst- Schmuddelwetter.

Die eingeschalteten Scheinwerfer des Polizeiwagens strahlten eine Gartenlaube an, die zwischen dunklen Tannen hervor lugte. Vor dem Wagen standen drei Männer: Thies Mommsen, ein ziemlich junger Polizist, der seit diesem Sommer in Husum war und Uwe Lessing, der in drei Jahren in Rente gehen würde. Den dritten Mann hatte sie noch nie gesehen.

 „Das ist Herr Jessen, der Makler für das Haus hier. Personalien haben wir schon.“, stellte Uwe den fremden Mann vor. „Er hat die Leiche gefunden.“

Die Gesichtsfarbe von Kalle Jessen war auffallend blass, während er seine Geschichte erzählte. „Und dabei ist alles so gut angelaufen!“ Zitternd zündete der Mann sich eine neue Zigarette an. „Ich habe es seit fast neun Monaten drin im Angebot. Ein schwer verkäufliches Projekt, trotz der schönen Lage. Für das Preisleistungsverhältnis eigentlich viel zu teuer. Und wenn ich bedenke, dass die Besitzer sich ursprünglich das Doppelte vorgestellt hatten. Undenkbar! Sie haben vorher schon versucht, es selber zu verkaufen. Die haben es geerbt, von Onkel und Tante. Wollen es selber nicht nutzen oder vermieten. Berliner, die sowieso schon genug Geld haben, mit einem Haus auf Sylt und einer Wohnung in Spanien. Tja, wo Geld ist, kommt auch immer was dazu.“

„Wer kann gewusst haben, dass das Haus leer steht?“

Gleichgültig zuckte Kalle Jessen mit den Schultern. „Im Prinzip eigentlich jeder. Die Leute hier in der Gegend. Jemand, der zufällig vorbei gekommen ist und das Schild am Haupthaus gesehen hat. Oder bei mir im Geschäft. Ich habe es natürlich auch im Internet und bei mir im Kasten drin, seit Monaten.“

„Haben Sie das Haus vorher schon mal mit Leuten besichtigt?“

„Ja, aber die hier waren die ersten, die es genommen hätten. Und jetzt nehmen die das Haus sicher nicht mehr. Sie werden immer ...“ Hilflos brach er ab und wies mit dem Daumen Richtung Hütte. „Was glauben Sie, war er schon tot, bevor man ihm das da angetan hat?“

„Das kann man noch nicht sagen...“ Neidisch sah Merle ihm hinterher, als er schließlich in sein Auto stieg. Sie würde jetzt gerne mit ihm tauschen! Feuchte Luft stieg aus den Wiesen auf und drang durch die Kleidung. Ihr war kalt und sie fühlte sich müde, trotz der bestehenden Anspannung. Diese Warterei zerrte jedes Mal an ihren Nerven, bis es endlich so weit war, dass sie selber einen Blick auf den Tatort werfen konnte, bevor der Tote abgeholt wurde.

 

Endlich gab die Spurensicherung die Hütte frei.

Das erste, was Merle in der Hütte auffiel, war der seltsame Geruch, den sie im ersten Moment nicht einzuordnen vermochte. Er erinnerte sie an den Aufenthalt in einer kleinen katholischen Waldkapelle vor vielen Jahren im Schwarzwald, in der Unmengen von Kerzen vor dem Gekreuzigten gebrannt hatten. Die Atmosphäre in der Kapelle hatte etwas Unwirkliches gehabt. So, als ob sie nichts mit der Welt da draußen zu tun hatte. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten, wo andere Regeln und Gesetze galten und wo die Zeit sich auf eine ganz andere Weise fort bewegte. Auch hier fühlte sich Merle in eine längst nicht mehr existierende Zeit zurück gesetzt, als sie sich nun umsah. Der erste Eindruck war für Merle in einem Mordfall immer ausschlaggebend, um in die Situation hinein tauchen und sich mit dem Opfer und dem Täter vertraut zu machen, durch das, was in der Luft hing und sich nicht durch irgend welche Wissenschaften und gesicherte Spuren beweisen ließ.

Die tote Gestalt im Lehnstuhl wurde von den Lampen voll beleuchtet. Kopf, Schultern und ein Teil des Oberkörpers und des Stuhles waren vollständig mit Wachs bedeckt. Auch auf den Hosenbeinen, den Armen und Händen und an den Seilen, mit denen die Leiche am Lehnstuhl fest gebunden war, waren Wachskleckser zu sehen. Bei genauerem Hinsehen konnte Merle die Maden erkennen, die über die Hände und Arme krochen.

Energisch zwang sie sich, flach durch die Nase zu atmen und weiter hin zu schauen, sich um zu schauen im Raum. Im nächsten Moment trat ihr Kollege Ocke dazu.

 „Das ist verrückt, völlig verrückt.“, murmelte er. „Das Wachs muss langsam auf ihn rauf getropft sein, sieh dir das an. Das Muster sieht aus wie bei einer Tropfkerze.“ Ocke wies auf die einzelnen Spritzer auf der Hose und auf den Ärmeln. „Wer denkt sich nur so etwas aus?“

„Da, der Haken, direkt über der Leiche.“ Merle zeigte nach oben an die Decke. „Ich vermute, dass da die Vorrichtung dran befestigt war, die diesen Schweinkram hier veranstaltet hat.“

Zustimmend nickte Ocke. „Ja, da auf dem Tisch sind auch Spritzer, und auf dem Boden. Und der kleine Teppich unter dem Tisch, da kann man richtig das Tropfmuster sehen. Hört Ihr das Geräusch? Das ist bestimmt der Dieselstinker von Lars Carstensen!“

 

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